Mit einem (deutschen) Fahrzeug eines (deutschen) Halters wurde in der Schweiz eine Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts um 55 km/h (175 km/h anstatt 120 km/h) begangen. Welche Folgen wie Ahndung mit Geldbuße bzw. -strafe sowie Führerscheinmaßnahmen und welches Vorgehen im Wege der Rechtshilfe und Vollstreckungsabkommen sind zu erwarten? Der Frankfurter Verkehrsrechtsexperte Uwe Lenhart klärt auf.
Vorgehen der deutschen Behörden
Bis Ende 2009 galt Folgendes: Wenn ein Fahrzeug nicht unmittelbar nach einem Verkehrsverstoß, z.B. einer Geschwindigkeitsüberschreitung, angehalten wurde, konnte nicht etwa aufgrund einer Vermutung vom Halter auf den Fahrer geschlossen werden (obwohl eine diesbezügliche „behördliche Vermutung“ häufig aufgestellt wurde). Nur der Täter war strafbar, nicht an seiner Stelle der Halter. Mit Urteil vom 28.12.2009 (Az. 6 B 571/2009) hat nun aber das Schweizer Bundesgericht einen eindeutigen Schluss vom Halter auf den Fahrer gezogen. Im Tenor seiner Entscheidung heißt es sinngemäß: „Erklärt ein Halter zur Frage, ob er sein Fahrzeug zum Tatzeitpunkt ausgeliehen habe, lediglich, er möchte dazu nichts sagen, so stellt es keinen Verstoß gegen Art. 6 Ziff. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Art. 2 Abs. 1 der Bundesverfassung dar, auf seine Täterschaft zu schließen.“ Kommt also ein Kfz.-Halter seiner Mitwirkungspflicht bei der Lenkerermittlung in Situationen, in denen Erklärungsbedarf besteht, nicht nach, so wird er zunehmend auch als Halter für einen mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß verantwortlich gemacht.
Im Ausgangsfall wird die schweizerische Untersuchungsbehörde zunächst den (deutschen) Fahrzeughalter anschreiben und ihm den Verstoß vorwerfen bzw. um Mitteilung des Fahrers zur Tatzeit bitten. Sofern dies nicht beantwortet wird, wird die schweizerische Behörde die deutschen Behörden im Rechtshilfeersuchen auf der Grundlage im Wesentlichen des deutsch-schweizerischen Polizeivertrages vom 01.03.2003 um Fahrerermittlung ersuchen. Dies geschieht so, dass die für den Sitz des (deutschen) Halters zuständige Polizeistation beauftragt wird, den verantwortlichen Fahrzeugführer zur Tatzeit durch Befragung von und Vorlage eines etwaig vorhandenen Lichtbildes bei auskunftsbereiten Personen bei dem Fahrzeughalter (hierzu zählen auch Nachbarn) zu ermitteln. Unter Umständen kann es auch zu einer Vorladung des Halters zur Polizei kommen.
Sofern der verantwortliche Fahrzeugführer nicht ermittelt wurde
Sofern der verantwortliche Fahrzeugführer nicht ermittelt wurde, wird das Verfahren eingestellt. Die Festsetzung einer Geldsanktion gegen den Fahrzeughalter wegen der Nichtbenennung des verantwortlichen Fahrzeugführers wie beispielsweise in Österreich, Frankreich oder den Niederlanden, ist nunmehr auch durch die schweizerischen Behörden möglich.
Zu erwartende Ahndung wie Geldbuße bzw. -strafe
Für den Fall, dass der verantwortliche Fahrzeugführer bekannt gegeben oder im Wege der Rechtshilfe von den deutschen Behörden ermittelt wurde:
Zwar sieht die Ahndung nach den Strafzumessungs-Empfehlungen der Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz (KSBS) von 2006 für Geschwindigkeitsüberschreitungen außerorts ab 45 km/h Geldstrafe ab 30 Tagessätze vor. Die Höhe eines Tagessatzes kann aber nur bestimmt werden, wenn Angaben zu den Einkommensverhältnissen gemacht werden. Erfahrungsgemäß erfolgt von den schweizerischen Behörden bei Ahndung von Geschwindigkeitsüberschreitungen von Ausländern die Festsetzung nach einer Liste. Rechtsanwalt Lenhart rechnet im Ausgangsfall mit um die Franken 1.000,–.
Eine Vollstreckung von Geldsanktionen in Deutschland aus Nicht-EU-Ländern ist derzeit nicht möglich. Ob die Geldbuße aus der Schweiz bezahlt werden soll, bleibt jedem selbst überlassen. Theoretisch könnte das nicht bezahlte Bußgeld bei Wiedereinreise an Ort und Stelle vollstreckt werden, wobei Uwe Lenhart ein solcher Fall noch nie aus eigener Praxis bekannt wurde.
Zu erwartende Führerscheinmaßnahmen
Ein Führerausweisentzug (entspricht in etwa einem deutschen Fahrverbot) von wenigstens einem Monat muss vorgenommen werden bei Geschwindigkeitsüberschreitungen außerorts ab 30 km/h. Erfahrungsgemäß ist mit einem Führerausweisentzug von drei Monaten zu rechnen.
Der Führerschein wird im so genannten Administrativverfahren aberkannt. Die schweizerische Verwaltungsbehörde legt den Zeitraum der Aberkennung per Verfügung datumsmäßig fest, in der Regel, ohne dass der ausländische Betroffene den Führerausweis hinterlegen muss. Möglich ist es, den Zeitraum der Aberkennung mit der Behörde abzusprechen. Er darf lediglich während der Sperre keine Kraftfahrzeuge in der Schweiz führen.
Anders bei Verstößen in der EU!
Bescheide wegen Verkehrszuwiderhandlungen aus dem EU-Ausland können in Deutschland seit dem 01.10. 2010 vollstreckt werden, warnt Rechtsanwalt Lenhart. Nur Beträge ab 70 Euro können in Deutschland eingetrieben werden. Ergehen ausländische Verfügungen auf Grund der dort gültigen so genannten Halterhaftung – der verantwortliche Fahrzeugführer konnte nicht ermittelt werden, der Fahrzeughalter haftet deshalb – werden diese in Deutschland nicht anerkannt. Die Halterhaftung ist in Deutschland verfassungswidrig. Gegen einen derartigen Bescheid sollte man bei der Behörde des jeweiligen Landes Einspruch einlegen. Das geht grundsätzlich auch in deutscher Sprache.
Autor: Uwe Lenhart, Fachanwalt für Strafrecht und Fachanwalt für Verkehrsrecht, Frankfurt a.M.